BGH-Urteil zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit

Absage an die Bugewellentheorie

1. Februar 2018

Hamburg, 01. Februar 2018

BGH, Urteil vom 19.12.2017 — Aktenzeichen: II ZR 88/16

Der BGH stärkt die gängige Praxis bei Feststellung der Zahlungsunfähigkeit: alle fälligen Verbindlichkeiten im 3-Wochen-Zeitraum müssen berücksichtig werden

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 19. Dezember 2017 entschieden, dass bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit mithilfe einer sog. Liquiditätsbilanz (auch sog. Liquiditätsvorschau) auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) einzubeziehen sind. Es war bis dato strittig, ob in der 3-Wochen-Betrachtung auch die innerhalb des Zeitraums noch fällig werdenden Verbindlichkeiten hinzugezogen werden. Wenn Letzteres zuträfe, könnte ein Unternehmen dauerhaft eine Liquiditätslücke nicht tilgbarer, fällig werdenden Verbindlichkeiten vor sich herschieben (als „Bugwelle“) ohne formal zahlungsunfähig zu sein. Dieser so bezeichneten „Bugwellentheorie“ erteilt der BGH damit eine deutliche Absage.

Darüber hinaus hat das BGH auf die Dokumentationspflicht und Verantwortung des Geschäftsführers hingewiesen. Ein GmbH-Geschäftsführer darf den vom Insolvenzverwalter aufgestellten Liquiditätsstatus nicht mit der pauschalen Behauptung widersprechen, die Buchhaltung sei nicht ordnungsgemäß geführt worden. Die Beweislast liegt beim Geschäftsführer und dieser hat vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche der – auf Grundlage der Buchhaltungsinformationen – in der Liquiditätsvorschau eingestellten Verbindlichkeiten zu den angegebenen Zeitpunkten nicht fällig gewesen sein sollen.

Rechtsprechung fordert vom Unternehmer eine ex-ante Liquiditätsvorschau

Wenn ein Unternehmer die zu einem Betrachtungsstichtag sofort fälligen Verbindlichkeiten (sog. Passiva I) nicht zahlen kann, so hat er drei Wochen Zeit die benötigten Geldmittel zu beschaffen. Dazu ist eine Liquiditätsvorschau für den Zeitraum von drei Wochen aufzustellen, als eine „ex-ante Prognose“. Wenn in diesem Zeitraum die Liquiditätslücke mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf unter 10% geschlossen werden kann, so liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor, sondern lediglich eine Zahlungsstockung. Es besteht keine Insolvenzantragspflicht mehr. Daher ist die 3-Wochen-Betrachtung für die Praxis von erheblicher Bedeutung.

Im prominenten Fall des insolventen Küchenherstellers Alno (vgl. Michael Ashelm, FAZ vom 9.1.2018) ist momentan strittig, wann die Insolvenzreife vorlag und ob sich der Vorstand ggf. einer Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hat. Der vorläufige Insolvenzverwalter Martin Hörmann lässt derzeit durch die Staatsanwaltschaft prüfen, ob der Insolvenzantrag möglicherweise zu spät gestellt wurde. Dabei wird der Finanzplan der Gesellschaft dahingehend durchleuchtet, ob auch die zukünftig fällig werdenden Verbindlichkeiten eingestellt wurden. Laut dem FAZ-Artikel hätte Alno nach der BGH-Rechtsprechung dann bereits im Jahr 2013 Insolvenz anmelden müssen, und nicht erst im Dezember 2016.

Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Dokumentation der Geschäftsführung

In der Praxis war es bereits üblich, dass in der Liquiditätsvorschau auch die in den drei Wochen hinzukommenden und noch fällig werdenden Verbindlichkeiten berücksichtigt haben. Das BGH Urteil hat diese Vorgehensweise formal bestätigt. Außerdem wurden in den Leitsätzen des Urteils auf die Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Dokumentation durch die Geschäftsführung in einer Krise hingewiesen.